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08.02.2016

Chile: Auf der Insel Chiloé

Inselvölker sind etwas Besonderes. Über Jahrhunderte bildet sich oft eine ganz eigene Kultur heraus, ganz anders als diejenige der Festlandbewohner. Aus diesem Grund ist es immer spannend, Inseln zu besuchen. Nachdem wir bereits die grösste Insel Südamerikas besucht haben (Feuerland), verbringen wir auch noch eine Woche auf der zweitgrössten Insel - Chiloé.

Eigentlich ist es nur eine kurze Fähre, die uns auf die Insel bringt. Und doch merken wir, dass Chiloe anders ist als der Rest von Chile. Etwas verschlafener, etwas geheimnisvoller, etwas eigenbrötlerischer.

Die Region ist ziemlich dicht besiedelt, bzw. zersiedelt, sodass wir nun kaum mehr wild zelten können. Dies, und die Tatsache, dass Hostels hier ziemlich teuer sind, führt uns unweigerlich immer wieder auf Campingplätze der unterschiedlichsten Art. Es sind kleine Universen, ausgestattet meist nur mit dem allernötigsten, wo sich die Menschen dicht drängen - zu dicht meist für unseren Geschmack. Den Chilenern hingegen gefällt das und wie wir es auch schon bei den Argentiniern beobachtet haben, verfügen sie über einen ganz anderen Privatsphärenradius als wir. So ist es absolut kein Problem, sein Zelt 1m neben einem anderen aufzustellen, obwohl es sonst noch viel Platz hätte. Auch laute Musik in allernächster Nähe oder lautes Sprechen miteinander bis nach Mitternacht (Flüstern gibt‘s nicht) stört niemanden. Wir passen unseren Rhythmus an die Gegebenheiten an und werden zu Langschläfern - denn bis 10 Uhr ist es auf dem Campingplatz meist totenstill. Wir erleben aber auch viel Schönes mit den Menschen. So werden wir mit Empanadas de Mariscos (Teigtäschchen gefüllt mit Meeresfrüchten) versorgt, überall wird uns Kaffee angeboten, wir werden über unsere Reise ausgefragt und einfach allgemein herzlich behandelt. Dennoch - nach ein paar Tagen werden wir unruhig, fahrig. Simon spricht schlussendlich aus, was sich in unserem Unterbewusstsein abzeichnet: „Wir müssen mal wieder in die Wildnis“. Obwohl ein Campingplatz viel Annehmlichkeiten bietet, ist es doch das Rauhe, das Natürliche, das uns fehlt.

Vorerst begnügen wir uns aber mit dem Nationalpark Chiloé, wo wir die besondere Landschaft geniessen und erstmals wieder seit langem auf den Pazifik treffen. Der 20km lange Strand, dessen Enden im Dunst verschwinden, erinnert uns stark an Vancouver Island, Kanada. Und auch der Wald, der hier in seinem ursprünglichen Zustand gelassen wurde, weckt Erinnerungen. Ein kleines Käuzchen beobachtet uns minutenlang vom Baum herab, ein Spiel mit unausgesprochenen Regeln, wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

Dass die Schingeln früher sogar als Währung galten, zeigt ihre Wichtigkeit.

Interessant auch die Häuser hier. Die Chiloten wie auch die Chilener generell haben eine Leidenschaft für grosse Fenster (gerne auch um‘s Eck), am liebsten in allen Formen. Und die Bauweise: Ein Stück Holz, ein Bisschen Blech, Spanplatten, Glas und Plastik, einmal schütteln, ein Tröpfchen Leim und ein Spritzer Farbe - fertig ist das Haus. So kommt uns das manchmal vor, auch wenn Chiloé eigentlich gerade wegen seiner Architektur berühmt ist. Dies gilt aber mehr für die alten Häuser. Viele von ihnen, Palafitos genannt, stehen auf Stelzen. Es sind Holzhäuser, mit Schingeln bedeckt, zum Teil farbig gestrichen, manchmal auch ganz natürlich belassen. Dass die Schingeln früher sogar als Währung galten, zeigt ihre Wichtigkeit. Am berühmtesten ist ChiloL für seine Kirchenarchitektur, die Chilotische Schule. Um 1600 kamen Jesuiten auf die Insel, um die Indigenen der Insel zu missionieren. Sie bauten 150 Kirchen, 14 von ihnen gelten heute als UNESCO Weltkulturerbe. Wir besuchen einige der wunderschönen Holzkirchen, die oft auch noch an sehr malerischen Orten stehen. Überzeugt sind wir aber nur von ihrem Äusseren, das Innere schwankt immer irgendwo zwischen Kitsch und Krempel und wird den schönen Fassaden leider überhaupt nicht gerecht.

Die Tage vergehen. Wir schauen Kirchen an, spazieren durch Dörfer und durch die Natur. Wir rudern mit einem unförmigen Ruderboot auf dem See Natri. Wir essen das Inselgericht „Curanto“, eine unmöglich aussehende und unglaublicherweise doch sehr gut schmeckende Mischung aus Muscheln, Poulet, Würstli und Kartoffeltaschen. Wir trinken Kaffee und essen dazu Kuchen, der auch hier so heisst: Kuchen. Die Pluralbildung erfolgt in Spanisch, es heisst also: 1 Kuchen, 2 Kuchenes. Wir beobachten die Fähre auf die noch kleinere Insel Quinchao, die fast im Minutentakt fährt. Und im Rhythmus unseres Reisealltags schleicht sich langsam das Bewusstsein ein, dass die letzten Tage unserer Reise angebrochen sind. Immer öfters tauchen Gedanken und Sätze auf, die anfangen mit: „Wenn wir zuhause sind...“ oder „zurück in der Schweiz...“. Mickrig klein scheinen sie noch zu sein, die restlichen Tage, die uns verbleiben.

Die Fähre bringt uns zurück aufs Festland. Die darauf folgende Seenlandschaft erinnert uns stark an die Schweiz im Hochsommer. Hier eine Emmentaler Fluh, dort eine weite Juraebene mit goldenem Korn. Doch kaum hebt man den Blick, realisiert man, dass dies nicht stimmen kann: Am Horizont ragen perfekt geformte Vulkane mit Zuckerguss in die Höhe. Doch der Blick darf nicht lange hängen bleiben, denn extrem dichter Wochenend- und Sommerferienverkehr erfordert unsere ganze Konzentration und Geduld - nicht gerade die besten Fahrbedingungen. Umso mehr freuen wir uns, unsere Schweizer Freunde wiederzutreffen und mit ihnen unsere letzten Tage „on the road“ zu verbringen. Mit anderen Reisenden scheint der Gesprächsstoff einfach nie auszugehen!

Nach 300km Autobahn - wir wollen alle etwas vorwärtskommen - sind die Nebenstrassen eine Wohltat. Wir kurven durch Weinberge, streifen kilometerlange Maisfelder und strecken unsere Nasen in den süssen Duft, der von den Pflaumenplantagen über die Strassen weht. Nicht umsonst heisst diese Strasse „La ruta de la fruta“! Hier scheint es uns, als hätte jemand einen Schalter umgekippt: Es ist heiss, die Häuser sind völlig anders gebaut, leuchtende Bougainvilleen umranken die Zäune. Um bei den Schweizer Vergleichen zu bleiben: Wir sind im Tessin gelandet, im Süden, der hier im Norden liegt.

Und dann erreichen wir Valparaiso. Hier sind wir, das ist es, das ist das Ende unserer Reise. So ganz fassen können wir diese Tatsache noch nicht. Damit sich das noch ändert und wir uns wieder etwas in die Zivilisation einfinden und ausserdem genug Zeit für die Verschiffung des Motorrades haben, wohnen wir hier noch eine Woche lang in einem Apartement. Von diesen letzten Tagen lest ihr in einem nächsten Bericht.

Chile: On the Island of Chiloé

Island peoples are special. Oftentimes, a very unique culture develops on islands over the centuries, very different from the culture of the mainland residents. Because of this, it is always exciting to visit islands. After we have already visited the largest island in South America (Tierra del Fuego), we decide to also spend a whole week on the second largest island - Chiloé.

It's actually just a short ferry that takes us to the island. And yet we realize that Chiloé is different from the rest of Chile. A little more sleepy, a little more mysterious, a little more solitary.

The region is quite densely populated, so that we can hardly do any wild camping now. This, and the fact that hostels are quite expensive here, inevitably leads us to all kinds of campsites again and again. They are small universes, usually only equipped with the bare essentials, and oftentimes crowded - too crowded for our taste. The Chileans, on the other hand, like that and, as we have already seen with the Argentines, they have a completely different radius of privacy than we do. So it is absolutely no problem to set up your tent with just a distance of 1m next to another, although there is more space available. Loud music in close proximity or loud talking to one another until after midnight (there is no whisper) doesn't bother anyone. We adapt our rhythm to the circumstances and become late risers - because it is usually dead quiet on the campsite until 10 a.m. But we also experience a lot of beautiful things with people. We are provided with Empanadas de Mariscos (dumplings filled with seafood), coffee is offered everywhere, we are asked about our trip and simply treated warmly. Still - after a few days we get restless and nervous. Simon finally expresses what we both feel in our subconscious: "We have to go back into the wilderness". Although a campsite offers many amenities, it is the rough, the natural that we lack.

The Chiloé National Park offers what we are looking for. Here, we enjoy the special landscape and meet the Pacific for the first time in a long time. The 20 km long beach, the ends of which disappear in the haze, reminds us a lot of Vancouver Island, Canada. And the forest, which was left here in its original state, brings back memories. A little owl watches us for minutes from the tree, a game with unspoken rules, whoever moves first has lost.

The fact that the shingles were even considered a currency in the past, shows their importance.

The houses here are also interesting. The Chilots as well as the Chileans in general have a passion for large windows (they also like to build the, around the corner), preferably in all shapes. And the construction: a piece of wood, a bit of sheet metal, chipboard, glass and plastic, shake it once, a drop of glue and a splash of paint - the house is ready. This is how it sometimes seems to us, even if Chiloé is actually famous for its architecture. But this is more true of the old houses. Many of them, called Palafitos, stand on stilts. There are wooden houses, covered with shingles, some painted in color, sometimes left completely natural. The fact that the shingles were even considered a currency in the past, shows their importance. Chiloé is most famous for its church architecture, the Chilotic School. Jesuits came to the island around 1600 to proselytize the island's indigenous people. They built 150 churches, 14 of which are now UNESCO World Heritage Sites. We visit some of the beautiful wooden churches, which are often also in very picturesque places. But we are only convinced of their exterior, the interior always fluctuates somewhere between kitsch and clutter and unfortunately does not do justice to the beautiful facades at all.

The days pass. We look at churches, walk through villages and through nature. We row a bulky rowboat on Lake Natri. We eat the island dish "Curanto", an impossible-looking and incredibly tasty mixture of mussels, chicken, sausages and potato pockets. We drink coffee and eat cake, which is called here like we say it in German: Kuchen. The plural formation takes place in Spanish, so they say: 1 Kuchen, 2 Kuchenes (whereas in German it is: 1 Kuchen, 2 Kuchen). We watch the ferry to the even smaller island of Quinchao, which runs almost every minute. And in the rhythm of our everyday travel, the awareness slowly creeps in that the last days of our journey have dawned. Thoughts and sentences that begin with: "When we are at home ..." or "back in Switzerland ..." are appearing more and more often. The remaining days left of our journey seem to melt in the pleasant summer sun.

The ferry brings us back to the mainland. The lake landscape that follows reminds us strongly of Switzerland in midsummer. Here a hill like in the region of Emmental, there a wide plain like in the region of Jura with golden grain. But as soon as we lift our gaze we realize that this cannot be true: perfectly shaped volcanoes with icing soar into the air on the horizon. But we should not let our eyes get distracted for too long, because extremely dense weekend and summer holiday traffic requires all of our concentration and patience - not exactly the best driving conditions. We are all the more pleased to meet our Swiss friends again and to spend our last days on the road with them. The conversation just never seems to run out with other travelers!

After 300km of highway - we all want to make some progress - the side streets are a boon. We curve through vineyards, roam miles of corn fields and stretch our noses into the sweet scent that wafts from the plum plantations over the streets. It is not for nothing that this street is called "La ruta de la fruta"! Here, it seems to us as if someone has flipped a switch: It's hot, the houses are built completely differently, glowing bougainvilleas surround the fences. To stay with the Swiss comparisons: We landed in Ticino, in the South, which is here located in the North.

And then we reach Valparaiso. Here we are, this is it, this is the end of our journey. We cannot quite grasp this fact yet. To change that and to help ourselves find our way back into civilization, while also have enough time to ship the motorcycle, we rent an apartment for another week. You will read about these last days in a next blogpost.

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