27.05.2013
Bangladesch, Nepal, Indien – der zweite Teil unserer Reise ist zu Ende: am Montag haben wir den Indischen Subkontinent verlassen, machen nun einen Zwischenhalt in Dubai, bevor wir Richtung Iran reisen und somit den 9. Monat unserer Reise beginnen. Zeit, zurückzuschauen und zwei persönliche Einblicke in unser Erleben zu gewähren.
Gut drei Monate sind wir durch den Indischen Subkontinent gereist. Dabei haben wir rund 6500 Kilometer mit dem Motorrad hinter uns gelegt, in Bangladesch etwa 1000 Km mit dem Zug. Über unsere Erlebnisse haben wir hier 19 Berichte veröffentlicht sowie Tausende Fotos gemacht. Und dennoch scheint uns, es gäbe noch so vieles zu schreiben, so viele unserer Gedanken aus diesen vergangenen Monaten darzulegen. Die drei besuchten Länder sind grundverschieden. Insbesondere Indien, wo wir die längste Zeit verbracht haben, ist nicht einfach zu verstehen, das Erleben reicht von heller Begeisterung bis zu verständnislosem Kopfschütteln, immer wieder mussten wir einsehen, dass uns dieses Land immer noch fremd ist. So ist es denn auch kaum verwunderlich, dass wir Indien mit einer leisen Wehmut wie auch mit einem gewissen Gefühl der Erleichterung verlassen.
Rückblick Simon
Bangladesch, Nepal und Indien - drei so verschiedene Länder, die alle einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Indien ist hier der grosse Nachbar der anderen beiden Länder, was in Indien geschieht, hat einen Einfluss auf die beiden kleinen Brüder. Die Kontraste könnten nicht grösser und schwerwiegender sein. Schon rein von der Landschaft her: Vom Flachland im mit Flüssen durchzogenen Bangladesch zu den 8‘000er Gipfel vom Himalaja zur Wüste im Westen Indiens zu den Tropen von Goa liegen hier mehrere Klimazonen in nächster Nähe beieinander. Noch vielfältiger sind die Unterschiede in den Kulturen und Sprachkreisen zwischen aber auch innerhalb dieser Länder. Die Kontraste in den Gerüchen sind noch viel näher beieinander. Riecht es aus einem Laden nach Rosenöl hängt an der nächsten Ecke abgestandener Uringestank von einer öffentlichen Toilette in der Luft. Unterwegs auf den Strassen riecht es einmal nach angenehm duftenden Blüten und einen Kilometer später nach einem verrottenden Kuhkadaver. Aus der kleinen Mühle an der Strassenecke riecht es nach frisch gemahlenen Korn während eine Strasse später in der Sonne garender Kuh- und Hundedung den Geruchssinn betäuben. Am grössten erscheinen mir die Kontraste in der Einkommensverteilung. Gut bewachte und umzäunte Quartiere mit angesehenen Villen befinden sich im einen Stadtviertel während sich im anderen Viertel behelfsmässig errichtete Baracken aus Plastikplachen und Wellblech reihen. Zynisch erscheint die Werbung in einem armen Wüstendorf über ein neues Luxuswohnviertel, das in der Nähe gebaut werden soll. An wen sollte sich die Werbung richten? Indien, das Land, das Menschen auf den Mond schickt und über eine Armee mit atomarer Bewaffnung verfügt, hat auch das grösste Slum von ganz Asien in Mumbai wo über eine Million Menschen leben sollen.
Auf der ganzen Reise ist mir schwergefallen den Zugang zu finden. Die Mentalität ist soweit verschieden von unserer, dass es mir scheint, dass ich Indien nie richtig verstanden habe obwohl es das Land ist, wo wir die längste Zeit verbracht haben. Vielleicht liegt es an der Religion. Die furchteinflössenden blutrünstig nach Tieropfer verlangenden Gottheiten des Hinduismus hinterlassen nur ein grosses Unverständnis in meinen Gedanken. Die vielen Stunden, die wir auf Indischen Strassen verbracht haben, hinterliessen eine zynische Abwesenheit von Vertrauen in die anderen Verkehrsteilnehmer. Man stelle sich eine schöne Strasse vor, auf beiden Seiten doppelspurig befahrbar und in der Mitte eine fette doppelte Linie. Auf der entgegenkommenden Doppelspur überholt ein Lieferwagen einen Lastwagen. Diese beide werden von einem Auto überholt, das dadurch natürlich auf unsere Doppelspur ausweichen muss. Hinter diesem Auto schaut noch einmal eines hervor und versucht, auf der letzten verbleibenden Spur alle drei zu überholen. Wir auf unserem Motorrad sind einfach nur fasziniert über die effiziente Ausnützung der vorhandenen Strassenfläche. Völlig unberechenbar sind Lastwagen- und Busfahrer. Sie überholen nach eigenem Gutdünken und ohne Vorwarnung in unsere Fahrbahn meist an den unmöglichsten Stellen, drücken uns von der Fahrbahn, nur um einem Schlagloch auszuweichen oder manchmal wohl nur aus blossem Spass. Einen möglichen tödlichen Unfall von uns oder von anderen Personen nehmen sie offensichtlich bewusst und skrupellos in Kauf. Die einzig berechenbaren Verkehrsteilnehmer sind die Kühe. Unbeirrt überqueren sie die Strasse oder trotten wiederkäuend an der Mittellinie entlang. Nicht eine Kuh machte eine plötzliche abrupte Bewegung als wir sie mit unserem Motorrad passieren. Den Kühen kann man vertrauen.
Vielfältigkeit, die Allgegenwärtigkeit von Menschen, Reichtum an Geschichte, die eindrucksvollen Bauten aus der Vergangenheit und vor allem die Vielfalt an Gerüchen werden die bleibenden Haupterinnerungen an diesem Teil unserer Asienreise auf den Indischen Subkontinent sein.
Rückblick Joséphine
Meine Erinnerungen an die letzten Monate sind vor allem geprägt von Begegnungen, hundertfaches Zusammentreffen mit Menschen, geplant und ungeplant. Begegnungen, die mich zutiefst berührt, ermutigt und zum Teil auch erschüttert haben, insbesondere in Anbetracht der immensen Armut, die uns immer wieder begegnet ist. Die Kinder in Bangladesch – es vergeht kein Tag, an dem wir nicht ein Foto von ihnen anschauen. Ihre Gesichter sind in unseren Herzen eingegraben. Wenn immer ich die Bilder der Kinder anschaue, wie sie in den ersten Sonnenstrahlen in ihre Bücher vertieft sind, wird es mir warm ums Herz. Die Begegnung mit diesen jungen Menschen hat mir mehr gegeben, als Worte ausdrücken könnten.
Wie sozialer Druck und Armut die Menschen um ihre Stellung in der Gesellschaft bringen können und wir aktuell das Thema der Kasten hier immer noch ist, haben wir in dieser Region allzu oft schmerzhaft erlebt. Wir haben es uns zum Anliegen gemacht, gerade diesen Menschen besonders viel Wertschätzung entgegenzubringen. Danke zu sagen ist nicht üblich in Indien, erst recht nicht für einen Dienst, der gegen Bezahlung erfolgt. Wir haben es trotzdem getan. Mit unserem liebenswürdigen Chaiwallah („Wallah“ lässt sich wohl am ehesten mit „Diener“ übersetzen) in Kalkutta verband uns so eine herzliche Beziehung. Oft war es auch unser Motorrad, das den ersten Schritt zu einem Gespräch erleichtert hat, an der Tankstelle, im Restaurant, einfach so am Strassenrand. Doch was mir dabei fehlte, waren Begegnungen mit Frauen: Wo wir auch hinkamen, ins Restaurant, ins Hotel, in die Werkstatt – überall sind nur Männer angestellt und auch die Gäste sind mehrheitlich männlich. Es ist schwierig, hier mit Frauen in Kontakt zu kommen und anfänglich fühlte es sich unangenehm an, immer die einzige Frau zu sein und angestarrt zu werden, in Gesprächen aber links liegen gelassen zu werden. So wurde ich nicht gefragt „What’s your name?“, sondern Simon wurde gefragt „What’s her name?“. Ich machte es mir daher zum Ziel, möglichst viele Frauen und Kinder anzulächeln, um wenigstens so eine kleine Verbindung herzustellen. Erfrischend anders erlebten wir es in der tibetischen Exilhauptstadt McLeod Ganj, hier konnten wir des Öfteren rabiate Frauen und Restaurantbesitzerinnen beobachten. Die „Mama“ aus unserem Lieblingsrestaurant, die mir gegen meine Erkältung liebevoll einen heissen Topf zum Dämpfen kochte, bleibt mir dabei in ganz besonderer Erinnerung.
Bei all den spontanen Begegnungen ist es auch wunderschön, zwei altbekannte Gesichter getroffen zu haben. Dass Brigitta die lange Reise nach Nepal gewagt hat war eine grosse Ehre für uns und wir haben die Zeit, die wir zusammen verbringen durften, sehr genossen. Auch das Wiedersehen mit Kamal, den ich bereits in der Schweiz kennengelernt hatte, hat uns gefreut. In seiner Familie ein paar Tage mitleben zu dürfen, war ein grosses Privileg und die Erinnerungen daran nehmen wir noch lange mit. Dank Kamal trafen wir auch Radha, die ihre Tochter an Menschenhändler verloren hat. Ihre Geschichte hat mich tief berührt. Ich durfte sie aufschreiben und einige Fotos machen - eine kleine Ausstellung davon wird voraussichtlich nächsten Herbst an der StopArmut-Konferenz in Bern zu sehen sein. Begegnungen sind es auch, die mich am meisten zum Nachdenken über die verschiedenen Kulturen gebracht haben. Mein westliches Verständnis von Tradition und der Geschlechterrollen in der Gesellschaft wurde manchmal herausgefordert, teilweise auch in ein anderes Licht gerückt. Für diese Horizonterweiterungen bin ich unglaublich dankbar.
Bangladesh, Nepal, India - the second part of our trip is over: On Monday we left the Indian subcontinent, will now make a stop in Dubai before we travel to Iran and thus begin the 9th month of our trip. Time to look back and give two personal insights into our experience.
We traveled through the Indian subcontinent for a good three months. We covered around 6500 kilometers by motorcycle, in Bangladesh around 1000 kilometers by train. We published 19 blog posts and took thousands of photos about our experiences. And yet it seems to us that there is still so much to write about, to present so many of our thoughts from these past months. The three countries visited are fundamentally different. India in particular, where we spent the longest time, is not easy to understand, the experience ranges from bright enthusiasm to uncomprehending shaking our heads, we had to repeatedly realize that this country is still alien to us. So it is hardly surprising that we leave India with a slight melancholy as well as a certain feeling of relief.
Simon looks back...
Bangladesh, Nepal and India - three such different countries that all left a lasting impression. India is the big neighbor of the other two countries here, what happens in India has an impact on the two little brothers. The contrasts couldn't be bigger and more serious. Already in terms of the landscape: from the plains in rivers-traversed Bangladesh to the 8,000-meter peaks from the Himalayas to the desert in western India to the tropics of Goa, there are several climatic zones in close proximity. The differences in cultures and language areas between and within these countries are even more diverse. The contrasts in the smells are extreme too. If a shop smells like rose oil, stale urine stink from a public toilet hangs in the air on the next corner. On the way out on the streets there is a smell of pleasantly fragrant flowers and a kilometer later of a rotting cow carcass. From the small mill on the corner of the street there is a smell of freshly ground grain, while a street later, cow and dog dung cooked in the sun numb the sense of smell. The greatest contrasts seem to me in the distribution of income. Well-guarded and fenced-off quarters with prestigious villas are located in one district, while makeshift barracks made of plastic sheets and corrugated iron are lined up in the other. Advertisement in a poor desert village appears cynical about a new luxury residential area that is to be built nearby. Who should this advertisement be aimed at? India, the country that sends people to the moon and has an army with nuclear weapons, also has the largest slum in Asia in Mumbai, where over a million people are said to live.
During the whole trip I found it difficult to find access. The mentality is so different from ours that it seems to me that I have never really understood India even though it is the country where we have spent the longest time. Maybe it's the religion. The terrifying, bloodthirsty deities of Hinduism, longing for animal sacrifice, are difficult to understand for me. The many hours that we spent on Indian roads left a cynical lack of trust in other road users. Imagine a beautiful street with double lanes on both sides and a bold double line in the middle. A delivery truck overtakes a truck in the oncoming double lane. Both of these are overtaken by a car, which of course has to switch to our double lane. Another one peeps out from behind this car and tries to overtake all three on the last remaining lane. We on our motorcycle are simply fascinated (and horrified!) by the efficient use of the existing road surface. Truck and bus drivers are completely unpredictable. They overtake at their own discretion and without warning in our lane, usually in the most impossible places, push us off the lane just to avoid a pothole or sometimes just for fun. Obviously they consciously and unscrupulously accept a possible fatal accident on our part or that of another person. The only predictable road users are the cows. Undeterred, they cross the street or trudge along the center line, ruminating. Not one cow made a sudden, abrupt move as we passed her on our motorcycle. You can trust the cows.
Diversity, the omnipresence of people, the wealth of history, the impressive buildings from the past and the variety of smells will be the main memories of this part of our trip to Asia on the Indian subcontinent.
Joséphine looks back...
My memories of the last few months are mainly shaped by encounters, hundreds of encounters with people, planned and unplanned. Encounters that deeply moved, encouraged and in part also shook me, especially in view of the immense poverty that we encountered again and again. The children in Bangladesh - not a day goes by without us looking at a photo of them. Their faces are engraved in our hearts. Whenever I look at the pictures of the children as they are absorbed in their books in the first rays of sunlight, my heart becomes warm. Meeting these young people gave me more than words could express.
We have all too often painfully experienced in this region how social pressure and poverty can deprive people of their position in society and how the issue of the casts is still present. We have made it our goal to show these people in particular a lot of appreciation. Saying thank you is not common in India, especially not for a paid service. We did it anyway. We had such a warm relationship with our lovable Chaiwallah (“Wallah” can best be translated as “servant”) in Calcutta. Often it was also our motorcycle that made the first step to a conversation easier, at the gas station, in the restaurant, just like that on the side of the road. But what I missed were encounters with women: wherever we went, in the restaurant, in the hotel, in the workshop - everywhere only men are employed and the majority of the guests are also male. It's difficult to come into contact with women here and at first it felt uncomfortable to always be the only woman and being stared at, but left behind in conversations. So I was not asked “What’s your name?”, But Simon was asked “What’s her name?”. So I made it my goal to smile at as many women and children as possible in order to create at least such a small connection. We experienced it refreshingly different in the Tibetan exile capital McLeod Ganj, here we could often observe rabid women and restaurant owners. The “mom” from our favorite restaurant, who lovingly cooked a hot pot for steaming against my cold, remains in my very special memory.
With all the spontaneous encounters, it is also wonderful to have met two familiar faces. That Brigitta dared the long journey to Nepal was a great honor for us and we really enjoyed the time we were allowed to spend together. We were also happy to see Kamal, whom I had already met in Switzerland. It was a great privilege to be able to live with his family for a few days and we will take the memories with us for a long time. Thanks to Kamal, we also met Radha, who lost her daughter to human traffickers. Her story moved me deeply. I was allowed to write it down and take a few photos - a small exhibition of them is expected to be on view next autumn at the StopArmut conference in Bern. Encounters are also what made me think about different cultures the most. My western understanding of tradition and gender roles in society was sometimes challenged, and sometimes also put in a different light. I am incredibly grateful for these new horizons.